Ich hatte gestern einen Fahrgast, Mitte 50, grauer Zopf-Pullover, graumeliertes Haar, graues Wesen. Er sei Politik- und Sozialwissenschaftslehrer und schimpfte für die Dauer einer kurze Fahrt durch die Kölner Innenstadt, die ihn zu einer antiquarischen Buchhandlung seltener Bücher führe, über die Dummheit der Menschen im Allgemeinen und seiner Schüler im Besonderen. »Sie als Philosoph wissen das auch, Aufklärung!«, sagte er beim Aussteigen mit erhobenem Zeigefinger.
Mir ist die letzten Tage aufgefallen, dass, speziell seit Trump, vermehrt über Bildung als Aufklärung geredet wird. Recht so, dachte ich, die Aufklärung darf nie aufhören.
Es scheint allerdings, auch bei diesem grauen Mann, nicht die Aufklärung gemeint zu sein. Offenbar sind es zwei unterschiedliche Bildungen, die in der Debatte miteinander Rumba tanzen, aber keiner der Tanzpartner ist näher mit Kant bekannt.
Erstens wäre da einmal die persönliche Bildung. Die ist noch vergleichsweise nah an Kant dran, sie dient primär dem Individuum. Allerdings nicht, um sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entfernen, sondern um die selbstverschuldeten Studienkredite abzubezahlen. Bildung als persönliche Marktwertsteigerung.
Immerhin kann das als Maxime gelten, nach der ein allgemeines Gesetze sich richten könnte, so kann dieser Aspekt auch diesbezüglich als kantkonform angesehen werden. Und vielleicht, ja, vielleicht findet man schlussendlich auch den Weg hinaus aus der Unmündigkeit, wenn man nach getaner Lohnarbeit auf der Designercouch im Eigenheim über die Welt sinniert. Auf der Designercouch sinniert es sich deutlich besser als unter der Brücke. Dieser Teil der Bildung/Aufklärung ist schon seit einigen Jahren in aller Munde.
Der zweite Aspekt ist, dank der politischen Situation, deutlich aktueller. Trump sei gewählt von ungebildeten, white-trashigen Menschen aus dem Rostgürtel der USA, die nichts von der großen, weiten Welt wüssten und nur nochmal die Schulbank drücken müssten, um ihre falschen Vorstellungen über Bord zu werfen und heim in den Schoß der Demokratischen Partei zu kommen.
Bildung als Ausweg vor falschen Wahlen und Verhüterin von falschen Entscheidungen.
Tendenziell liegt das auch auf den esten Blick nah bei Kant, das Individuum befreit sich durch Wissen, indem es keinen falschen Versprechungen mehr hinterherrennt. Doch auch hier liegt ein handfestes Interesse dahinter, nämlich, dass dafür jemand anderes gewählt würde.
Spitz formuliert: Die Leute sollen schlau genug sein, um nicht auf Trump reinzufallen, aber doof genug, um bei Clinton ihr Kreuz zu machen.
Bildung als Macht- und Beeinflussungsmittel.
Die Aufklärung ist nutzlos. Das ist nicht wertend, sondern beschreiben gemeint und galt eigentlich immer schon.
Man kann mit persönlicher Gedankenfreiheit weder ein Eigenheim abbezahlen, noch kann man damit die Massen lenken.
Kein Wunder, dass die Lehrpläne sie nicht vorsehen, denn sie sind an konkretem Nutzen interessiert. Wie unsere Gesellschaft auch.
Wir sind keinen Schritt weiter gekommen, man stirbt jetzt nicht mehr mit 35 an Tuberkulose in Leibeigenschaft, sondern mit 65 an Herzverfettung in einer Mietswohnung. Die 30 zusätzlichen Jahre verdingt man sich mit Fernsehen und Katzenvideos im Internet, obwohl alle Bibliotheken der Welt offenstehen, es keine Zensur oder Bücherverbrennungen mehr gibt, keine Ketzer- und Hexenprozesse.
Man kann sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien, nichts leichteres als das.
Man tut es nicht.
Das zu wissen, zu verstehen, ist bereits Aufklärung.
Das zu wissen, macht auch einen Taxifahrer mit Magister zum freien Mann.